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22 Apr

Die Karriere von Gerhard Möser: Diskothekenbesitzer, Nobelgastronom, Pillenverkäufer und Entführer.

Die Karriere von Gerhard Möser: Diskothekenbesitzer, Nobelgastronom, Pillenverkäufer und Entführer. In Szene gesetzt von Götz Schrage

Ein Leben zwischen schnellen Autos, Kokain, schönen Frauen und hinter schwedischen Gardinen. Bühne frei für den Flick-Erpresser Gerhard Möser.

„Es war scheißkalt, mindestens 20 Grad minus, und ich fror am ganzen Körper. Mit klammen Fingern legte ich mir eine Linie Kokain am Armaturenbrett des Wagens. Schon seit Tagen war ich mit Koks vollgepumpt, konnte nicht mehr schlafen. Ich hatte gerade ein Nasenloch voll mit Gift, als Raggers Firmenwagen, ein weißer Opel, auftauchte …“

So kündigt ein Klappentext die Nacht an, die das Leben von Gerhard Möser einer brachialen Wendung unterzieht. Günther Ragger ist der Bruder von Ingrid Ragger, die im Sommer 1991 den schwerreichen Industriellen Friedrich Flick heiratet. Und Möser ist sein Entführer. Gemeinsam mit zwei Komplizen erpresst er ein Lösegeld von 70 Millionen Schilling (fünf Millionen Euro). Oder genauer: Er versucht es. In 42 Stunden jagen Möser, Ragger und einer der beiden Komplizen quer durch Österreich. Gescheiterte Geldübergaben, die Flucht eines Komplizen und abenteuerliche Polizeimanöver inklusive. Möser gelingt es schließlich – kurz vor dem Zugriff der Beamten –, sich mit einem Teil der Beute über die Grenze zu verdrücken, in München in ein Flugzeug zu steigen und nach Chicago zu fliehen. Zurück zu Nancy, seiner großen Liebe. Zurück zu der Frau, die das Chaos in ihm und in dem Leben aller Beteiligten erst ausgelöst hatte.

Nancy, 1,80 Meter groß, dunkle Mähne, meterlange Beine, Model, koks- und shoppingsüchtig. Möser lernt die Amerikanerin in einem monegassischen Club kennen, als diese die Entourage von Prinz Albert ziert. Dass Möser im Dunstkreis solcher Prominenz wandelt, ist gelerntes Business. Erst vergöttert ihn die Gesellschaft in Graz für sein außergewöhnliches Programm im In-Lokal Mr. Bojangles, dann liegt ihm die High-Society von Monaco zu Füßen. Er schüttelt die Hände von Falco, Fendrich, Schwarzenegger, Sammy Davis Jr., Becker (Tennis), Schumacher (Formel 1) und der jungen Generation der Adelsfamilie.

Stop. Zwei Schritte zurück. 1988.

Gerhard Möser steigt in Graz zum König der Nacht auf, weil er seinen Club anders führt als alle anderen. Gäste versuchen, die Türsteher zu bestechen, um bei den Partys dabeizusein. Er ist präsent, überrascht die Gäste mit kleinen Zuwendungen und hat ein Gespür für Flair, Style und aufstrebende Künstler. Falco unterschreibt einen Vertrag mit Möser, Monate bevor er weltweit zum Kommissar wird. Er bietet Möser 100.000 Schilling, um nicht auftreten zu müssen. Möser verneint und bekommt seine Show.

Zwei Rolls-Royce, einen Maserati und ein Dutzend Schönheitsköniginnen später ist er Millionär, weil er seinen Club für viel Geld verkauft. Möser setzt sich mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern nach Monaco ab. Dort gründet er das Café Mozart. Spielt seinen Charme und seine Großzügigkeit aus und wird abermals zum Liebling der Society. Nach dem Café Mozart eröffnet er das Teehaus Mozart. Er verkauft 1.000 Speisen zu Mittag, fährt Autorennen in ganz Europa mit und erlebt wundervolle Jahre in Saus und Braus. Dann betritt Nancy die Bühne. Sie kichern, schmusen und lieben sich zuerst im Champagner-, später im Kokainrausch. Für sie verlässt er Frau und Kinder, stürzt sich ins wilde Leben, dem er sich nie ganz entziehen kann, und verfällt ihr mit Haut, Nase und Haaren. Sie vereinnahmt ihn und seine Kreditkarten, nutzt seine Gutmütigkeit, seine Beziehungen zur Prominenz und seine Konten.

Möser nimmt Medikamente, schläft – stets in Krawatte und Anzug – im Auto. Er reist nach München, um einen Freund zu besuchen. Zufällig erfährt er, wer in der Nachbarschaft wohnt. Er gabelt zwei Kroaten am Grazer Hauptbahnhof auf, leiht sich einen Lieferwagen und legt sich an diesem Dezembermorgen eine Nase Kokain auf dem Armaturenbrett.     Nach seiner Flucht nach Chicago ist es Nancy, die ihn an das FBI verrät – für 3.000 Dollar Belohnung. 1992 wird ihm der Prozess gemacht. Mit handgefertigten Maßschuhen tritt er vor den Haftrichter. Dieser lächelt hämisch und nimmt ihm die Schuhe mit dem beiläufigen Satz ab, dass er die für eine Weile nicht mehr brauchen wird. Eine lange Zeit wird vergehen, bis Möser wieder in Freiheit sein soll. Der Richter schenkt ihm von zwölf Jahren vierzehn Tage Freiheit.

Schleppend verstauben die Jahre in Haft. Möser genießt die Zeit, die er alleine in der Zelle verbringt. Er liest unzählige Bücher, reflektiert und schreibt Gastronomie-Konzepte. Er lernt Mörder, Vergewaltiger und die Willkür der Justizbeamten kennen. Nach zehn Jahren, 2002, darf er das erste Mal auf Freigang. Sein ehemaliger Bankberater gewährt ihm einen Kredit und Möser eröffnet in Wien-Favoriten das Kaffeehaus Mozart. Er steht um sechs Uhr morgens auf, organisiert das Geschäft, bedient seine Gäste, verteilt um 17 Uhr gratis Häppchen und kredenzt um 20 Uhr das eine oder andere Freibier. Um halb zehn schließen sich jeden Abend die Zellentüren wieder hinter ihm.

Schnell wird das Kaffeehaus zum Magneten im 10. Bezirk. Abermals stürzt sich die Presse auf ihn – diesmal die Nachmittags-Schmonzetten. Möser gilt als der erste Häftling Österreichs, der gleichzeitig Unternehmer ist.

Im Juni 2002, sein Kaffeehaus brummt, klingelt das Telefon. Mösers Tochter ruft aus Spanien an. Sein Sohn Sven ist bei einem Sprung von der Kai-Mauer an einem Strand in Mallorca verunglückt. Fünf Wirbel zertrümmern, als sein Kopf auf einem Stein aufschlägt. Der Organismus hört danach auf zu funktionieren. Sven fällt ins Wachkoma.

Jeden Tag fährt Möser ins Spital, klopft seinem Sohn das Kissen auf und streichelt ihm übers Haar. Er streitet mit den Ärzten um die richtigen Behandlungsmethoden. Richtet Sven gegen deren Ermahnungen auf und fährt mit ihm im Spitals­park spazieren.

Wunderheiler rufen an. Hexen bieten ihre Gebete übers Telefon gegen Geld an. Möser sucht und sucht nach einer Möglichkeit, seinem Sohn zu helfen. Alles würde er machen. So erfährt er von einem Stoff namens Silizium, der die Zellteilung beschleunigen solle. Er lässt den Entdecker aus Deutschland kommen, verabreicht seinem Sohn einige Dosen und überrascht die Ärzte nach einigen Tagen Therapie mit den hervorragenden Werten seines Sohnes. Möser misstraut dem Spitalspersonal zunehmend und holt seinen Sohn schließlich nach Hause, um ihn dort zu pflegen. Nebenher gründet er einen Verlag und bringt Bücher auf den Markt, die andere nicht verlegen wollen. 2005 verkauft er sein Kaffeehaus am Wiener­berg. Im März 2006 stirbt Sven an einer Blutvergiftung.

Stop. Ein Schritt ins Jetzt. 2014.

Gerhard Möser steht mit seiner jungen Frau Corina und Terrier Richie in einem kleinen Geschäftslokal in der Wiener Burggasse. In den Regalen um ihn herum türmen sich kleine Plastikdosen und Sprayflaschen. Corina lernt er in einem Kaffeehaus kennen. Seit ein paar Jahren ist er mit ihr verheiratet. Er will der hübschen Frau, die eine schwere Jugend in Rumänien hatte, ein schönes Leben bieten. Der Tod seines Sohnes ist über zehn Jahre her.  Möser verschreibt sich der Nanotechnologie. Er tritt mit dem Pharma-Unternehmen Neosino in Verbindung, das Silizium zum Kassen­schlager machen will und an die Börse geht. Das Unternehmen sponsert damals den FC Bayern München und dessen Stürmerstar Roy Makaay. Auf einer Veranstaltung verkündet der damalige CEO Edmund Krix im Jahr 2006, auch Krebs heilen zu können. Die Presse wird aufmerksam. Die NDR-Sendung Panorama berichtet, dass die Produkte keine Wirkung haben und die Kurse rauschen in den Graben. Ein Forscher des mit dem Fall betrauten Max-Planck-Instituts sagt später, dass er lediglich auf der Straße von den Reportern angesprochen wurde. Neosino weist die Vorwürfe zurück. Doch das Unternehmen geht daraufhin bankrott.

Möser sichert sich die Rechte für den Verkauf in Österreich. Er wehrt Angriffe der Industrie ab, streitet um Zulassungen und Lizenzen. Schließlich wird aus den Siliziumkapseln ein Naturprodukt. Möser verlagert die Produktion nach Österreich. Er einigt sich mit den Erfindern, sichert sich die Markenrechte und treibt den Vertrieb voran. 2013 lockt er arabische Investoren an, die ein Gesundheitszentrum in Mösers Heimatort Mariahof bauen wollen. Der Deal kommt in letzter Sekunde nicht zustande. Schuld war die Intervention des mittlerweile zurückgetretenen Bürgermeisters von Neumarkt, Reinhardt Racz. Möser ist wieder mitten im Business. Wie immer eigentlich. Er ist milde geworden, aber sich aus dem Spiel zurückziehen? Nein, er hat ja grade erst wieder angefangen.